Der Koch und sein Memo an alle

Ach, mein Freund der Koch. Man muss ihn gern haben.

Ich habe doch über unser Gespräch berichtet und Manuel (der Koch) hat mir ein paar Wochen später erzählt, dass er jetzt „mal durchgegriffen“ hat. Aber irgendwie gab’s dann Ärger im Restaurant und das wollte er mich wissen lassen.

Was war da passiert?
Manuel hat sich Gedanken gemacht über die Prozesse rund um seine Küche. Er hat mal aus der Küche rausgespickt und gesehen, dass das mit dem Kernöl auf der Tischdecke stimmt! Und dass die Gäste seine perfekt fertiggestellten vier Teller gar nicht gemeinsam bekommen haben, weil die Person im Gastraum erst den ungehaltenen Gast abkassieren musste, der fast seine Bahn verpasst hätte.
Seine Küchenhilfe hatte er noch gut im Griff – das war ja auch nie ein Problem.
Und da hat er sich gedacht – „ich schreib das mal zusammen!“

Manuel hat also ein schön gestaltetes Memo getippt mit Hilfe des Bürocomputers – er kennt den Kollegen, der da immer die Reservierungen macht.
Dass das von nun an „wie folgt“ läuft. „Um unsere Kunden bestmöglich bedienen zu können, werden ab sofort kleine weiße „Überdecken“ auf die weißen Tischdecken gelegt, diese können vom Teller-Abräumer dann bitte pro Gast sofort ausgetauscht werden.“ Er habe, so schrieb er, die Deckchen bereits bestellt, diese würden auf seinen Druck hin morgen schon, 10 Uhr angeliefert werden – wer diese Lieferung denn annehmen könne, er sei um diese Zeit ja nicht da. Und das bitte zusammenhängende Bestellungen auch zusammenhängend serviert werden müssen, das würde ja auf ihn, den Koch, zurückfallen.

Dieses schöne Memo pinnte er an das schwarze Brett neben der Küche, wo sich übrigens auch die Gästetoiletten befinden. Denn er hat ja keinen Email-Account und auch nicht alle Servicekräfte haben einen.

Direkt nach Feierabend hat es dann „geknallt“ – warum er sich denn jetzt in die Angelegenheiten der anderen einmischen würde, dass der eine Gast sich belustigt über das „interne Memo“ („hihi, das ist ja süß, die 90er lassen grüßen“) gezeigt hatte, und wer zum Geier soll die kleinen weißen Tischsets bügeln, die seien in der Wäscherei so nicht mit angemeldet… und und und.

Ich habe ihn gefragt „Ja, hast Du denn nicht mal mit der Restaurantleiterin über Deine Gedankengänge gesprochen?“
Da gab er zurück, dass die Chefin doch eh überlastet sei und er sie nicht noch zusätzlich mit diesen – doch auf der Hand liegenden – Änderungen belasten wolle. Wenig überraschend hatte die Chefin das Memo noch überhaupt nicht gesehen und wunderte sich über die schlechte Stimmung der kommenden Tage.
Das Memo wurde schnell wieder abgenommen und die kleinen weißen Deckchen wurden mit dem Vermerk „Annahme verweigert“ zurückgesendet.

Eine weitere Woche später kam dann die studentische Aushilfe: „Hurra – ich konnte mit der Wäscherei einen Tarif über die kleinen Deckchen erwirken“ …
Das Lachen konnte ich mir nicht verkneifen, obwohl Manuel echt zerknirscht war…
„Ich hab es doch nur gut gemeint“, sagte er zu mir mit Blick in seinen Weißwein.

Die Prozessin saß derweil zerstrubbelt und unter Papier und Streit begraben und fragte sich „Warum sind plötzlich alle aus ihrer Struktur ausgebrochen? Es war doch alles so schön ruhig hier, was ist plötzlich los?“

Der Koch und seine Eigenheiten

Neulich habe ich mit einem Koch über seine Arbeit – und über meine Arbeit gesprochen. Er meinte: „so ein Quatsch!“
Nach einer längeren Diskussion merkte er aber, dass ich gar nicht darüber sprach, wie ER seine Gerichte zaubert, welchen Kochlöffel er nimmt, wie er seine Metalltöpfe platziert. Sondern darüber, dass in bestimmten Situationen eine Küchenhilfe da sein muss, die leere Metalltöpfe wegräumt, wieder auffüllt. Dass jemand die kostbare Deko fertigstellt und darüber, dass die Person, die das wundervoll angerichtete Essen dem Gast präsentiert – idealerweise nicht gleichzeitig woanders kassiert.

Wir sprachen auch darüber, dass Einarbeitung niemals über Rezepte (Achtung, Analogie: „Prozessbeschreibung“) stattfinden kann, sondern über persönliche Begleitung, Hospitieren und Üben, üben, üben.
Das gilt übrigens nicht nur für Köche.
Und wenn man dann eingearbeitet ist, dann helfen einem auch die Rezepte (Prozesse) im Sinne von „wie war das nochmal?“

Ein Rezept zu schreiben bedeutet, im Kopf durchzugehen, was wann als nächstes passieren wird. Dies kann der Koch selbst am Besten.
Aber kann er auch aufschreiben, was außerhalb seiner Küche mit diesem Essen geschieht? Mit dem leeren Teller? Mit der Tischdecke, die das schöne grüne Kürbiskernöl abbekommen hat?

Für das Orchestrieren dieser ganzen Dinge -rund um den exzellenten Teller- gibt es Restaurantleiter. Gute und nicht so gute.
Der einzelne Teller mag noch so exzellent sein – wenn er nirgends hingestellt werden kann, weil die Tische nicht abgeräumt sind, oder wenn der Koch nicht kochen kann, weil er gerade einkaufen ist … dann kann das Restaurant seinen Kernprozess „Exzellentes Essen anbieten“ nicht mehr liefern.

„Aber ich kann doch viel besser wissen, ob ich Kochlöffel aus Holz oder aus Metall nehme!?“ sagt er zum Schluss.
„Ja, natürlich – wenn Du jemanden hast, der Dir den Kochlöffel wieder einsatzfähig macht – dann ist es Deine Entscheidung.“ 🙂

Er sagt: „Dein Job ist anstrengend, oder?“
Ich sage: „Was gibt es heute zu essen?“ 🙂